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07/25
Große und kleine Traumata
Traumatische Erfahrungen macht jeder Mensch im Leben. Denn wer hat sich nicht einmal ohnmächtig, ja ausgeliefert gefühlt? Starr vor Schreck und überwältigt von dem Gedanken: Das schaffe ich nicht, das halte ich nicht aus?
Das sind Kennzeichen von traumatischen Situationen. Normalerweise reagieren wir bei Gefahr mit Angriff oder Rückzug. Wenn aber ein Kampf aussichtslos und Flucht nicht möglich ist, greift eine dritte körperliche Reaktion: Die Erstarrung oder der Totstellreflex. Alle Säugetiere verfügen über diesen Reflex, den die Natur als letzte Überlebensmöglichkeit vorgesehen hat. Wenn Menschen vor Schreck oder Entsetzen erstarren, sind Gefühle ausgeschaltet. Menschen fühlen sich „wie in einem Film“, wie fremdgesteuert. Diese unwillkürliche Reaktion dient unserem Schutz: Unser Verstand erfasst nicht sofort das ganze Ausmaß des Schreckens und so gewinnt unser Organismus Zeit, um Kräfte zu sammeln.
In einer traumatischen Situation muss das Leben nicht direkt bedroht sein. Auch Angriffe auf die Psyche können traumatische Wirkung haben: Beschämungen, Entwertungen können dazu führen, dass man „im Boden versinken“ möchte. Auch als Zeuge, z.B. von Unfällen können Menschen von der Wucht der Eindrücke traumatisiert werden („sekundäre Traumatisierung“). Nicht zuletzt reißen Verluste von lieben Menschen seelische Wunden. Das bedeutet Trauma wortwörtlich: Eine Wunde. Das Besondere an dieser Wunde ist: Sie betrifft Körper, Geist und Seele.
Wie kann man eine solche Wunde versorgen?
Das Gute ist: Unser Organismus ist widerstandsfähiger, als wir es uns vorstellen können. So wie körperliche Wunden von selbst heilen können, geschieht dies auch bei Traumata. „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“ (Friedrich Nietzsche). Es gibt eine enge Verbindung von Lebenssinn und Resilienz, also seelischer Widerstandsfähigkeit. Aber die Heilung kann dauern. Vor allem dann, wenn der Sinn des eigenen Lebens neu gesucht werden muss.
Heilung heißt: Man kann sich an das Schlimme erinnern und weiß genau: Das Schlimmste ist vorbei. Nicht nur unser Verstand muss davon überzeugt sein, sondern unser ganzer Körper. Dabei helfen ein stützendes, liebevolles Umfeld, aber auch glückliche Erinnerungen, körperliche Bewegung und Spiritualität. Ja, sogar eine zuckerarme Ernährung und die Einschränkung des Alkoholkonsums können zur Heilung beitragen, mindestens aber zur Linderung der Beschwerden.
Machen Sie den Test: Wenn Sie sich an ein schlimmes Ereignis in Ihrem Leben erinnern und dabei spüren, wie Ihr Körper reagiert, z.B. mit Zittern, Gänsehaut oder einem flauen Gefühl im Bauch, sind dies wichtige Hinweise. Denn dann ist möglicherweise das Schlimme noch nicht vollständig „verdaut“. Könnte man es nicht einfach vergessen oder wenigstens beschweigen? Aber das kostet Kraft. Wieviel Energie und Lebensfreude wird damit gebunden!
„I love my life“ - so heißt ein Songtitel von Robbie Williams. So soll es sich (wieder) anfühlen, wenn das Schlimme wirklich vergangen ist: „I love my life! I am powerful, I am beautiful, I am free!“ (Robbie Williams)
Der nächste Blogeintrag beschäftigt sich mit Resilienz und erscheint Anfang August